Mobile App Accessibility: Der komplette Guide für besseres Testing

Mobile App Accessibility: Der komplette Guide für besseres Testing

In einer Welt, in der digitale Angebote immer stärker unseren Alltag bestimmen, darf ein Aspekt nicht übersehen werden: Barrierefreiheit. Mobile Apps sind aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken – doch Millionen von Menschen mit Behinderungen bleiben dabei oft außen vor. Studien zeigen, dass über 70 % der Apps gravierende Accessibility-Probleme aufweisen. Das ist nicht nur unethisch, sondern auch wirtschaftlich kurzsichtig.

In diesem Artikel erfährst du, warum Accessibility-Testing für mobile Apps so wichtig ist, welche Methoden und Tools du einsetzen solltest – und wie du Barrierefreiheit systematisch in deinen Entwicklungsprozess integrierst.

Warum Accessibility im App-Testing wichtig ist

Barrierefreiheit ist weit mehr als ein „Nice to have“. Sie ist ein zentraler Erfolgsfaktor:

  • Inklusion: Rund 15–16 % der Weltbevölkerung leben mit einer Form von Behinderung. Eine barrierefreie App ermöglicht diesen Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe.
  • Gesetzliche Vorgaben: Richtlinien wie die BITV 2.0, der European Accessibility Act oder der ADA in den USA machen Barrierefreiheit verpflichtend – auch für mobile Anwendungen.
  • Bessere Usability für alle: Accessibility-Features wie klare Navigation oder hoher Kontrast verbessern die Benutzererfahrung für alle Nutzer.
  • Reputation & Vertrauen: Inklusive Marken werden positiv wahrgenommen – das stärkt die Kundenbindung.
  • Wirtschaftlicher Vorteil: Eine größere Zielgruppe, bessere Bewertungen in App-Stores und geringere Absprungraten bedeuten langfristig auch mehr Erfolg.

Die vier Grundprinzipien barrierefreier Apps

Barrierefreiheit in mobilen Apps basiert auf den WCAG-Richtlinien und folgt vier Prinzipien:

Wahrnehmbar: Inhalte müssen für alle Nutzer sichtbar, hörbar oder auf andere Weise erfassbar sein.

    • Textalternativen für Bilder und Symbole
    • Ausreichender Farbkontrast
    • Unterstützung von Screenreadern, Sprachausgabe und Untertiteln
    • Flexibles Layout bei Schriftgrößen und Ausrichtung

Bedienbar: Alle Funktionen müssen steuerbar sein – unabhängig von der Eingabemethode.

    • Große Touch-Ziele (mind. 9 × 9 mm)
    • Alternativen zu komplexen Gesten
    • Sprachsteuerung und externe Geräte unterstützen
    • Keine zeitkritischen Interaktionen ohne Alternative

Verständlich: Navigation und Inhalte müssen leicht erfassbar, Fehler nachvollziehbar und Bedienvorgänge vorhersehbar sein.

    • Konsistente Struktur und verständliche Sprache
    • Eindeutige Fehlermeldungen mit Hilfestellungen
    • Keine überraschenden Kontextwechsel

Robust: Die App muss zuverlässig mit Hilfsmitteln wie Screenreadern oder Vergrößerungssoftware funktionieren – auch bei Software-Updates.

    • Nutzung nativer Accessibility-APIs
    • Saubere semantische Struktur für Screenreader
    • Kompatibilität mit verschiedenen OS-Versionen und Eingabegeräten

Der Accessibility-Testing-Prozess für mobile Apps

1. Vorbereitung und Strategie

  • Personas mit Einschränkungen entwickeln: Erstelle beispielhafte Nutzerprofile mit verschiedenen Behinderungen, um gezielt auf ihre Bedürfnisse testen zu können.
  • Gerätematrix definieren: Wähle eine sinnvolle Auswahl an iOS- und Android-Geräten sowie Betriebssystemversionen, um reale Nutzungsszenarien abzudecken.
  • Testumgebung vorbereiten: Aktiviere Screenreader und andere Bedienhilfen, um das Nutzererlebnis unter realistischen Bedingungen zu prüfen.

2. Automatisierte Tests: Schnell und effizient

Automatisierte Tools analysieren den Code und prüfen häufige Barrieren wie fehlende Bildbeschreibungen oder fehlerhafte Struktur. Beispiele:

  • iOS: Xcode Accessibility Inspector zeigt Probleme direkt in der Entwicklungsumgebung.
  • Android: Accessibility Scanner analysiert die Benutzeroberfläche und gibt konkrete Verbesserungsvorschläge.

Tipp: Diese Tools sind ideal für erste Checks, sie identifizieren z. B. fehlende Labels, schlechte Kontraste oder inkorrekte Touch-Zielgrößen – sie ersetzen aber keine echten Nutzertests.

3. Manuelle Tests: So testet man wie ein echter Nutzer

Bei manuellen Tests nutzt du deine App selbst – aber mit aktivierten Bedienungshilfen. So erkennst du, wie sich die App für betroffene Menschen wirklich anfühlt.

Beispiele:

  • VoiceOver (iOS) und TalkBack (Android) lesen Bildschirminhalte vor. Teste, ob Buttons sinnvoll beschriftet sind und Navigation möglich ist.
  • Dynamische Schriftgrößen prüfen: Ist der Text noch lesbar, wenn er deutlich vergrößert wird?
  • Farbumkehr oder hoher Kontrast aktivieren: Bleiben Inhalte erkennbar?

Checkliste für manuelle Tests:
□ Lässt sich die App vollständig ohne Sehen bedienen?
□ Funktionieren Sprach- oder Schaltersteuerung zuverlässig?
□ Bleibt die Lesbarkeit bei 200 % Vergrößerung erhalten?
□ Gibt es Alternativen zu Farben zur Informationsübermittlung?

4. Testing unter realen Bedingungen

Teste die App unter realistischen Alltagsbedingungen, um sicherzustellen, dass sie auch bei wechselnden Umgebungen und Ablenkungen zuverlässig funktioniert:

  • Bei direktem Sonnenlicht und Dunkelheit: Prüfe, ob Kontraste und Inhalte auch bei schwierigen Lichtverhältnissen gut erkennbar sind.
  • Unterwegs, z. B. im Bus: Teste die App in Bewegung, um sicherzustellen, dass sie auch bei Erschütterungen und Ablenkungen gut bedienbar bleibt.
  • Mit Unterbrechungen durch Anrufe oder Benachrichtigungen: Überprüfe, ob die App nach Störungen stabil weiterläuft und keine Eingaben verloren gehen.

5. Reale Benutzertests

Die beste Methode: Lass Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen deine App testen. Im User Testing mit Betroffenen werden oft Dinge entdeckt, die keinem Tool auffallen – etwa irreführende Hinweise oder zu kleine Bedienelemente. Nur so erhältst du authentisches Feedback, das keine Maschine liefern kann.

Tipp: Nutze gezielte Aufgaben („Führe eine Überweisung durch“) und beobachte, wo Nutzer:innen scheitern oder Hilfe brauchen.

Mobile-spezifische Herausforderungen und häufige Fehler

Apps sind komplexer als Webseiten, da sie auf verschiedenen Geräten, in variablen Kontexten und mit nativen Funktionen laufen. Häufige Probleme sind:

  • Nicht genutzte native Accessibility-APIs → Setze auf Standardkomponenten statt Eigenentwicklungen.
  • Schwache Unterstützung bei Unterbrechungen → Daten zwischenspeichern!
  • Gesten ohne Alternativen → Ergänze Menüs und Buttons.
  • Ignorierte Systemeinstellungen → Nutze dynamische Textgrößen und Kontraste.
  • Inkonsequente Navigation → Vermeide „Zurück“-Verhalten, das verwirrt.

Hier sind ein paar häufige Probleme, die beim Testing auf Accessibility auftreten können mit möglichen Lösungen:

ProblemLösung
Fehlende Alternativtexte für Icons oder BilderNutze accessibilityLabel (React Native), contentDescription (Android), accessibilityLabel (iOS)
Schlechte FarbkontrasteTeste mit Tools wie WCAG Contrast Checker – min. 4.5:1 für Text empfohlen
Kleine Touch-ZieleInteraktive Elemente sollten mindestens 9mm x 9mm groß sein
Keine Unterstützung für große SchriftLayouts sollten skalieren, ohne Inhalte abzuschneiden
Navigation ist nur per Touch möglichStelle sicher, dass auch Tastatur, VoiceOver oder Sprachsteuerung funktionieren

Plattformspezifische Accessibility-Funktionen

iOS-Features

  • VoiceOver: Der eingebaute Screenreader liest Texte vor und unterstützt spezielle Gesten.
  • AssistiveTouch: Bietet alternative Steuerung bei motorischen Einschränkungen.
  • Display & Textgröße: Systemweite Einstellungen für Schrift und Farben, die Apps berücksichtigen sollten.

Android-Features

  • TalkBack: Androids Screenreader, inklusive Sprachfeedback und Gestennavigation.
  • Voice Access: Steuert das gesamte Gerät per Sprache – ideal für motorisch eingeschränkte Nutzer.
  • Live Transcribe: Schreibt Gesprochenes in Echtzeit mit – hilfreich für Gehörlose.

Nutze diese systemeigenen Features aktiv in der Entwicklung und im Testing.

Best Practices für nachhaltige Accessibility

  • Design-Phase: Barrierefreiheit mitdenken – z. B. klare Kontraste, einfache Sprache, keine versteckten Funktionen.
  • Entwicklung: Nutze die Accessibility-APIs der Plattform – z. B. accessibilityHint, accessibilityRole oder semantische UI-Komponenten.
  • Testing: Integriere Accessibility-Tests in deinen CI/CD-Prozess.
  • Dokumentation: Halte bekannte Einschränkungen und geplante Verbesserungen fest.
  • Team-Schulung: Schaffe Bewusstsein im Team – durch Schulungen, Simulationen oder Live-Demos.

Fazit: Accessibility ist keine Option – sie ist Pflicht

Barrierefreie Apps sind nicht nur ein Zeichen sozialer Verantwortung, sondern auch ein klarer Wettbewerbsvorteil. Sie erreichen mehr Menschen, funktionieren zuverlässiger und hinterlassen einen positiven Eindruck – bei Nutzern wie in App-Stores.

Wenn du Accessibility von Anfang an mitdenkst und kontinuierlich testest, baust du bessere, inklusivere und zukunftssichere Apps.

Du möchtest deine App auf Barrierefreiheit prüfen? Kontaktiere uns für ein kostenloses Erstgespräch – wir unterstützen dich bei Strategie, Testing und Umsetzung.

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